„Wer das Exil kennt, hat manche Lebensantwort erlernt, und noch mehr Lebensfragen. Zu den Antworten gehört die zunächst triviale Erkenntnis, dass es keine Rückkehr gibt, weil niemals der Wiedereintritt in einen Raum auch ein Wiedergewinn der verlorenen Zeit ist.“ (Jean Améry)
Eintritt in den Raum. Ein Baby wird lächelnd empfangen in einem warmen Zimmer oder: Ein Baby wird geboren in einem Raum, vor dessen Fenster sich dunkle Wolken zusammenbrauen oder: Ein Baby verlässt den Mutterleib in einem Bett, das ein Loch hat in der Mitte bis tief unter die Erde. Aber ein Baby hat nicht zu entscheiden, wo es geboren wird. Ein Baby hat nicht zu entscheiden, wer es empfängt. Was folgt, ist der erste, erlösende Schrei: Man ist zur Welt gekommen.
Schon wird man im Arm gehalten, hält jemand seine Hand in der andern, oder: Schon wird man Hals über Kopf in die Wiege gelegt oder: Schon fällt man wie ein Blatt in Schnee. Man kommt in ein Zimmer, in dem man Wärme spürt, in dem Vögel fliegen, Schmetterlinge im Bauch. Im Zimmer nebenan bröckelt Putz von der Decke, dringen Stimmen durch Wände, die jetzt schon bedrohlich sind. Im Zimmer daneben kommt eine Hand aus, werden Schreie mit Schreien erwidert. Hier wie dort wird man Stunden, Tage, Monate, Jahre verbringen, hier wie dort wird das Baby zum Kind und das Kind zum Buben und der Bub zum jungen Mann. Zeit, das Kind beim Namen zu nennen: Rufen wir es B. wie Bär.
Auszug aus „Immer ein Fuß in der Tür.“ Der gesamte Text findet sich in der Februar-Ausgabe 2013 der Straßenzeitung Apropos (http://www.apropos.or.at/)
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